Eigentlich sind wir doch alle Schweden…

…oder etwa nicht? Gerade sind wir vom Public Viewing zurückgekommen. Nach der ersten Halbzeit hätten wir ja die armen Schweden gern an unsere Brust gedrückt, um ihnen verstehen zu geben, wie gut wir sie verstehen können. Vor allem wenn man von Anfang an das Gefühl hat, dass es nichts wird. Auf dem Marktplatz in Västerås war vor dem Spiel absolut gute Laune. Tausende waren gekommen, bemalt wie wir, mit gelbem T-Shirt und Fähnchen. Als das Spiel begann, wurde es ruhiger und ruhiger. Ich habe mich an ein Café gesetzt ohne Blick zum großen Bildschirm und nur in die Gesichter gesehen. Da wusste man, wie das Spiel läuft. Aber wie das so oft in unserem Leben ist: Eigentlich möchte  man die Leute drücken und ihnen gut zureden. Aber dann haben wir uns in der zweiten Halbzeit lieber leise aus dem Staub gemacht, da ich nicht sicher war, ob einige Schweden randalieren 😊.

Interessanter war da schon die Sache mit den amerikanischen Autos. Ein Teil war dorthin gegangen. Diejenigen Schweden, die mit Fußball nichts am Hut hatten, fuhren mit ihren riesigen amerikanischen Schlitten auf dem Stadtring. (Auch wenn hier kaum jemand zuschaute!) Bei einem Cadillac bilde ich mir ein 12 Leute gezählt zu haben, die bei ca. 30 km/h im Auto und auf den Türen saßen und sich feierten. Da hätten wir nur drei Autos gebraucht für Schweden.
Eines unserer Mädchen hat mich dann darauf hingewiesen, dass sie den neuen emanzipatorischen Trend entdeckt hat. (Schließlich war Schweden, was die Emanzipation angeht immer eine Nasenlänge voraus.) Die bildhübsche Frau darf den Straßenkreuzer fahren. Der arme Mann mit seinen Freunden muss auf dem Beifahrersitz oder in der zweiten Reihe Zigarette oder Zigarre rauchen und die Whiskey-Flasche halten…
😊. Mir war das gar nicht so aufgefallen. Aber gut, dass unsere jungen Leute genau hinsehen und …?

Jetzt sind wir wieder in unserem traumhaften Haus. Das ist nun wirklich außergewöhnlich. Alle haben letzte Nacht tief geschlafen. Es sind so weiche Matratzen, weicher als in jedem Nobelhotel. Karl hat so tief geschlafen, dass er vor Schreck aus dem Bett gefallen ist, als ein Junge aus dem Nachbarzimmer laut geweckt hat.
Ich musste heute daran denken, dass unser ehemaliger Kirchenbaurat Frede einmal gesagt hat, als nach der Wende die Jugendräume eingerichtet wurden und überall darüber nachgedacht wurde, ob man noch irgendwo einen Keller hat, den man nutzen könnte: “Man sperrt die Jugend nicht in den Keller“. Wie klug diese Bemerkung war, ist mir erst später aufgegangen. Bei uns sind Jugendherbergen oder Einrichtungen, die junge Leute nutzen können meist mit dem Notwendigsten ausgestattet, möglichst robust und nur praktisch.
Wir sind nun in einem Haus für Jugendgruppen, das äußerst liebevoll bis ins Detail eingerichtet wurde. Kein Zimmer gleicht dem anderen. In Manchem ist das Haus wie gelebter Geschichtsunterricht. Wenn man zum Frühstück kommt und staunt, wie schön es sein eigerichtet ist und sich fühlt wie im Vier-Sterne-Hotel. Das ist eine wirklich tolle Sache.
Ich habe den Verdacht, dass man so auch anders mit den Dingen umgeht. (Hoffentlich lehne ich mich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich an die Übergabe des Hauses am Donnerstag denke…)
Aber das ist nun wirklich eine schwedische Art, die wir wirklich lernen könnten. Es muss nicht teuer sein, aber geschmackvoll kann es immer sein. Auch die Liebe zum Detail predigt unseren Kids, wie man leben kann und sollte.

Man hat mich vorhin aus der Küche geworfen. Frank hatte Angst, dass ich seine Kochpläne durcheinanderbringe und der Couscous nicht perfekt wird. Deswegen hatte ich jetzt schon mal Zeit zum Schreiben. Früher als sonst. 
P.S. Morgen um 6 Uhr nehmen wir Abschied von Finn. Er hat doch noch vieles mitmachen können, wie man auf den Bildern sieht. Er fliegt mit der Linienmaschine von Stockholm nach Frankfurt und wird von dort nach Hause gebracht, um in der Heimat behandelt zu werden. Frank bringt ihn zum Flughafen, während wir das Frühstück vorbereiten.
Noch einen schönen Abend.

Euer Dietmar

P.S. Der alte Mann mit dem Tatoo  „Antisozial“ stand uns gegenüber 🙂